zurück........Tell Schwandt, privat, 14089 Berlin, Lerchenstr. 14........................
 VerTellen
Mein Vater wird Ehrenbürger von Berlin:
Heimbert Otto Wilhelm Gustav Schwandt kam 1945 aus dem Gefängnis und fand nette Freunde bei den Russen, die gerade Berlin eroberten.


Im Frühling 1945 das einzige Personaldokument von Heimbert Schwandt:

Die Rückseite: wohlhabender Knastbruder

Artillerie-Sperrfeuer und Häuserkampf in Berlin 1945. U-Häftling Schwandt flüchtet Ende April ins Gebüsch im Tiergarten
als die Haftanstaltsmauer einen Treffer hat und ein Loch. Er sitzt dann auf Bäumen, ernährt sich vom ersten Blattgrün.
Rundrum immernoch Granaten, denn die Rote Armee ist fixiert auf die Eroberung der Reichstagsruine. Überall laufen noch
unten "Kettenhunde" (Nazi-Militärpolizei) und SS-Männer herum, denn auch das Rollfeld auf der Stern Chaussee
(heute: Str. d. 17. Juni) und der Führerbunker sind nicht weit.

Heimbert Schwandt ist noch ohne Papiere, denn oben abgebildeter Entlassungsschein ist fast eine Fälschung:
Den holt er nachträglich (mit der Meldebestätigung des Reviers in der Bülowstr.) im Tausch gegen einen "Persil-Schein"
für seine Wärter in Moabit. Zu der Zeit ist es schon Anfang Mai und die Russen sind im Zentrum Berlins angekommen.

Er schläft in ausgebombten Häusern und Geschäften, wandert herum. Einmal übernachtet er in einer Bankfiliale, wo noch Geldscheine
haufenweise herumliegen. Er glaubt da noch nicht, dass die alte Reichsmark weiterhin gilt, doch als er Tage später wieder hingeht
ist die Bankfiliale schon fast leergeräumt. Nur ein kleines Bündel Scheine findet sich im Schutt zusammen. Sonst wohnt der Berliner hauptsächlich noch in Luftschutzkellern. So auch er: Nachts kommen die Russen und machen Kontrollen in den Luftschutzkellern. Sie suchen nach Wehrmacht und Nazis. Ein junger Rotarmist kontrolliert ihn, findet das Geld, dreht sich um und schenkt es einem alten Mütterchen dort im Keller. Als der weg ist, gibt die Dame das Geld an meinen Vater zurück. Schon wenig später kommt der Rotarmist zurück, geht direkt zu meinem Vater und kontrolliert ihn wieder: Als das Geld auftaucht wird er wütend und führt meinen Vater zu seinem Vorgesetzten. Heimbert Schwandt wird nicht erschossen, sondern kann sich mit den Sowjetsoldaten verständigen. Die nehmen ihn zunächst mit und er ist sozusagen ein Fremdenführer in Berlin.

Die "Besatzer" geben ihm eine Wohnung in Berlin-Wilmersdorf. Heimbert Schwandt  findet auch mit ihrer Hilfe einige ehemalige Sozialdemokraten und Kommunisten und gründet dort die KPD Wilmersdorf neu (mit dabei Wolfgang Harich und der Sänger Ernst Busch, der dann zunächst Kulturdezernent in Wilmersdorf wird). Die Möbel für die Wohnung, die auch erstes Pateilokal ist, beschaffen die Russen: Ein rechtwinkliges Sofa aus der Reichskanzlei und einen eichenen Kartentisch mit Bauernstühlen. Der

Als KPD-Funktionär kommt Heimbert Schwandt mit KPDlern aus anderen Teilen Berlins zusammen und sie lernen die "Gruppe Ulbricht" kennen.  Die kommen frisch aus Moskau und wissen, was er nicht weiss: Stalin ist inzwischen "überlebensgross", einfach ihr Gott. In dieser Situation (denn mit Gott kennt er sich nicht aus) meldet er sich sofort freiwillig als die Sowjets eine Hilfskraft suchen zur Organisation der von ihnen beschlagnahmten Kneipen und Kinos in denen jetzt "Volkshäuser"entstehen. Das sind Kulturzentren in denen Vorträge gehalten, Filme gezeigt (z.B.: die Parade vom 9.Mai 1945 ) und Diskussionen von KPD-Genossen geführt werden sollen nach sowjetischem Vorbild [Dom Kultura], aber in sozialdemokratischer Namensgebungstradition.

...Flaneur Heimbert Schwandt

Nach der Teilung Berlins macht Heimbert Schwandt unterschiedliche Erfahrungen mit den Westalliierten. Die Briten emfangen ihn als Vertreter der KPD-Wilmersdorf und schenken ihm zum Abschluss der Gespräche (sie wollen die Demokratie fördern, haben sie ihm erklärt) einen PKW. Heimbert, leidenschaftlicher Autofahrer, fährt natürlich sofort vom Olympiastadion (die Briten nutzen Teile davon als ihr Hauptquartier) zu seinen Freunden, den Sowjets: Geradeaus, immer in östlicher Richtung. Damals ist die Grenze zwischen dem britischen Sektor und dem russischen noch nicht am Brandenburger Tor. Der Schlagbaum der Roten Armee [russ.: Schlag-ba-uum] steht an der Siegessäule (deshalb  liegt ja auch das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten später im britischen Sektor). Der Kontrollierende sieht sich die 3-sprachigen Papiere, die ihm die Engländer mitgegeben haben an, holt seinen Offizier und der entscheidet: "Papier nix gutt" und beschlagnahmt den Wagen. Mein Vater hat ihn nie mehr gesehen.

Die Amerikaner lernt er anders kennen: inzwischen ist er nämlich Geschäftsführer der "Volkshaus GmbH" in den Westsektoren Berlins geworden und die ist den Amerikanern ein Dorn im Auge. Verschiedene Vorladungen, Razzien in den West-Berliner Volkshäusern und andere Schwierigkeiten bereiten ihm die Amis. Alles endet mit einem Verfahren wegen Schankbetrug (in einem der Volkshäuser waren die Biergläser nicht bis zum Eichstrich gefüllt gewesen) und der Schließung der Volkshäuser unter Auflösung der GmbH.

...Glück gehabt:

Heimberts Geliebte aus der Zeit lange vor dem Knast, Fridel Schiller kommt im Sommer 1945 gerade wieder nach Berlin.
Fridel [meine spätere Mutter] war mit meiner Oma unter fadenscheinigsten Angaben aus dem Bombenhagel des Jahres 1944 geflohen (und weil Paul Schiller [mein Opa] es nicht lassen konnte "Weg mit Hitler" auf den Gehsteig zu stempeln). Das Haus in dem die Schillers wohnen (Fritschestraße 24, Charlottenburg) ist nicht zerstört. Heimbert ist in der folgenden Zeit gern gesehener Gast bei den Schillers, deren Schrebergarten sorgt auch für Gemüse und Obst...

+ Ausflug ins Grüne: Frl. Schiller und Herr Schwandt...

Sie ziehen zusammen nach Neu-Westend in eine 2,5-Zimmerwohnung mit Bad, Olympische Str. 6
(das restliche Haus bewohnen britische Soldatenfamilien). Vor der Haustür: am 40. Geburtstag meines Vaters

Hochzeitsfoto meiner Eltern v. 2. 11. 1947:  9 Monate später wurde ich, Tell Heimbert Schwandt geboren:
...und als Tell 5 Jahre alt war stand mein Vater als Ehrenbürger in der Zeitung:
[aus NEUES DEUTSCHLAND vom 8.5.1955]

Damit der Anspruch des (Ost-) Berliner Magistrats auf die Hoheit in ganz Berlin demonstriert würde:
zum "10. Jahrestage der Zerschlagung des Hitlerregimes" wurde auch Heimbert Schwandt Ehrenbürger Berlins
( gleich oben rechts neben Ulbricht ), weil Heimbert Schwandt in Neu-Westend  [Bezirk Charlottenburg] wohnte und somit im
britischen Sektor von Berlin-West. Meine Eltern blieben da auch wohnen, weil meine Oma ganz sicher dem Irrglauben anhing: "Der Sozialismus kommt auch noch nach Charlottenburg". Heute ist mein Vater nicht in der offiziellen Liste des Berliner Senats [gibt es die überhaupt, die Liste?] als Ehrenbürger aufgeführt. Vielleicht weil ihm in einem Prozess wegen Flugblattverteilens auf dem Ku-damm gegen den Korea-Krieg der USA in den 1950er Jahren die Anwartschaft auf eine Rente wegen Widerstands gegen das NS-Regime mal aberkannt wurde? [Wie komme ich an sein Gerichtsurteil aus 1953?]

  Heimbert Schwandt beim Zeitung lesen (seiner Lieblingsbeschäftigung)

Wichtige Beilagen zur Zeitung waren Neskaffee, Rosinenbrot und Zigaretten (nach dem Krieg erstmal selbst gedrehte Zigaretten aus auf der Straße aufgelesenen Restekippen - später hauptsächlich "Senior Service" und "Player´s Navy Cut" oder "Senussi". Nach den ersten Herzproblemen dann verschiedene mit Filter) Genau so gern wie das Zeitungslesen (er bevorzugte Springers WELT, das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND und Augsteins SPIEGEL) mochte mein Vater den LONDONER RUNDFUNK, die deutsche Ausgabe des BBC WORLD SERVICE.


...viel später bekam Heimbert Schwandt noch ´n Orden: unterschrieben von Otto Grotewohl


Als Häftling hatte er seine Habe während des Krieges verloren. Inzwischen bekommen die Westler (besonders viel für Ländereien in Russland und Polen, die durch den mörderischen Deutschen Angriffskrieg verloren gegangen waren) Geld nach dem Lastenausgleichsgesetz. Mein Vater stellte auch einen Antrag. Der Zwischenbescheid macht schon mal im Adrema-Stempel das inzwischen polnische Pommern zum Charlottenburger Paten:

Abbildung anklicken => pdf öffnen!

In strenger Auslegung des Lastenausgleichsgesetzes kam dann der Ablehnungsbescheid: Als Häftling hatte er ja keine Wohnung mehr.

Abbildung anklicken => pdf öffnen!

Noch einen Ablehnungsbescheid bekam er vom Bezirksamt, als ein Jahr später herzkrank um eine Erholungsbeihilfe bat:

Abbildung anklicken => pdf öffnen!
Erholung nur für staatstreue Untertanen!


VerTellen
zurück nach oben