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Wie mein Berufsleben so losging... 
Meine erste Bekanntschaften mit der Arbeitswelt

Von der Schule aus habe ich ein mehrwöchiges Praktikum bei der Phillips-Plattenspieler-Montage in Berlin-Tempelhof gemacht. Davon haftengeblieben ist meine Bewunderung für selbstbewußte Gewerkschafter und besonders für die damaliger IG Metall.

Richtige Lohnarbeit fand sich dann bald im Ausland: Ein fröhlicher Kellner aus dem Rheinland war in Pfarrer Maechlers Deutschen Evangelischen Gemeinde in London und hat mir auf dessen Vermittlung einen Job in den Grossen Ferien als Gläserspüler im National Liberals Club, No.1, Whitehall Place, London SW1 (NLC) vermittelt, wo er als Sommellier beschäftigt war. Ein ganz, ganz feines Hotel-Restaurant in dem der Savage Club regelmäßig tagt, wo ich unter laufendem ganz heißem Wasser die Gläser zu spülen hatte. Die Gasträume oder das Restaurant durfte ich offiziell nicht betreten. Früher hatten in dem Club Berühmtheiten wie Gladstone, Asquith und Lloyd George verkehrt.


Mein NLC Foto

Der Personaleingang war über eine metallene Freitreppe ins souterrain erreichbar. In der dortigen Keller-Kantine des Personals war die Welt anders als oben im NLC: ich erinnere mich an Tinned-Green-Peas-Wasser als psychodelic green und die darin gekochten Erbsen grausam fade, die Mashed-Potatoes aus Pulver erzeugt und ich lauschte herrlichen Konversationen der Kolleginnen und Kollegen - teilweise in Cocney-Reimen, was meine Englischkenntnisse wirklich erweiterte.


NLC Foto mit freundlicher Genehmigung des Internet Archivs der University of Toronto und http://www.victorianweb.org/art/architecture/clubs/10.html

Der Sommellier des Clubs, bei dem ich dann auch wohnte (Suburban Kellerwohnung im Südlondoner Lewisham mit bescheidenster Waschgelegenheit) wußte von leerstehenden Zimmern in den obersten Etagen des NLC und separaten Badezimmern mit riesiger Badewanne. Da konnte ich untertauchen in dem irre heißen Wasser, dann lief die Wanne fast über, aber es war beeindruckend schön...


Wöchentlich gabs Geld für die Arbeit und Swingin´ London war nicht weit. Das waren überhaupt erst meine zweiten Sommerferien ohne Eltern und aufregend mit meiner ersten Membership Card im Marquee Club, Wardour Street: Bis dahin war ich noch Beatles-Fan gewesen. Nun bevorzugte ich Zoot Money, Manfred Mann, Long John Baldry, The Rolling Stones, Brian Auger, Jeff Beck, David Bowie, Alexis Korner, Alan Price, The FacesThe Who, oder JimmyHendrix und die Ska-Music war zu erkunden...



Student wollte ich unbedingt und Künstler auch sein - möglichst am Theater arbeiten. Meine Eltern waren aber mehr dafür, dass ich was studiere, wovon ich dann auch leben könnte. Da wurde es die Juristerei mit der ich anfing. [Natürlich dachte ich dabei auch wie Broder: "Gleich nach dem Abitur ... Jurist werden, Strafverteidiger, der Unschuldige aus den Klauen der Klassenjustiz befreit..."] Hier mein erster Studentenausweis:

Lange währte dieses Studium jedoch nicht. Nur die ersten Teile des BGB (Buch 1 und 2) habe ich kennen gelernt und dann ergab es sich, dass meine Mutter mich dringend in der Buchhandlung brauchte: "Nur so lange Vati krank ist".
Meinen Vater hatte sein erster Herzinfarkt aus dem Verkehr gezogen, nachdem seine beiden Angestellten unsere Buchandlung "das europäische buch" verlassen hatten und schräg gegenüber in der Lietzenburger Strasse eine eigene Buchhandlung "das politische Buch" mit Teilen des Warenbestandes vom "europäischen buch" (insbesondere mit den Vorräten an Mao-Bibeln und einer unserer 2 Leitern) eröffnet hatten.


Der erste Laden des eurobuch am Olivaer Platz (lesend Koll. Geinitz) und der zweite Katalog Mitte der 1960er  Jahre

Ich hatte schon vorher im "europäischen buch" und im "Internationalen Buchversand" geholfen, denn meine Eltern finanzierten meinen VW-Käfer unter der Bedingung, dass ich die Pakete aus der Buchhandlung zu Post fuhr.
Wenn keine Pakete zu fahren waren, hatte ich auch schon mal im Laden gearbeitet. Der Laden war am Olivaer Platz 16. Heute hat sich der damalige Nachbar "Die Brille" dahin erweitert.

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Dutschke-Poster an der Tür / Kolleginnen an der Kasse / Andere Plakate am Eingang

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APO - Ausserparlamentarische Opposition als Buchthema im Fenster und ich vorm Laden, da wo Sammelstelle der meisten Demonstrationen der 60er Jahre war: von hier aus ging´s den Ku´damm runter - Richtung Gedächtniskiche. Gleich um die Ecke war der Republikanische Club (RC), wo Fritz Teppich  sich nicht nur um die Gastronomie kümmerte. Er war dann auch guter Kunde im eurobuch. Ich selbst war nicht so sehr an der Teilnahme bei Selbstfindungsdiskussionen westlicher Linker interessiert, die im RC stattfanden. Ich konnte mir für Demonstrationen freinehmen und war so gerne Teil der APO.

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Verlagspräsentationen in Schaufenster für Aufbau-, Akademie- und Dietz-Verlag aus der DDR


Anfang der 70er: Umzug der Buchhandlung in größere Räume ganz nah´der damals größten Buchhandlung Berlins (Kiepert)
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Knesebeckstraße 1-3, heute reihen sich da Polygraphos, Balzac Coffee, Lehmanns und Manufaktum, damals das europäische buch, Steinway und Kiepert


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Das Büro im neuen Laden Knesebeckstraße 3 damals noch zum Verkaufsraum hin offen, später stand die Fachbuch-Wand davor.

-der neue Laden-



Nicht nur die Tragetaschen - auch Zündhölzer wurden kostenlos abgegeben.


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Bemerkenswert: dieVersicherungen haben für die häufigen Glasschäden beim Laden Knesebeckstraße 3 immer problemlos bezahlt.



Und nicht zu vergessen: die Filiale in Dahlem, Thielallee 34,die war schon vorher dazu gekommen:

...---erst mit nur einem Laden

...---dann auf 2 erweitert

...---und schließlich alle 3 Läden zusammen


Hier einige der Kollegen aus vielen Jahren des europäischen buches:

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Sylvia an der Kasse + Gisela im Büro

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Ich am Phone  + Georg im Laden + Alfred ist das Fachbuch + ganz rechts guckt mir die Fortsetzungsabteilung direkt in die Kamera

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Unser Lagerhaltungs-Computer waren Karteikästen + unser 1.Sortimenter war Wolfgang aus Wien

Mein Stellvertreter Wolfgang lernte erst bei der Zentralbuchhandlung Wien und war dann bei Theo Pinkus in der Limmatbuchhandlung in Zürich ehe er zu uns kam.
Sein Vater war in der Nachkriegszeit Betriebsartzt bei der Österreichischen Mineralölverwaltung gewesen. Die ÖMV war bis 1955 sowjetisch verwalteten und ein von Kommunisten beherrschten Betrieb und Wolfgangs Familie gehörte schon sehr lange zur KPÖ. Das qualifizierte ihn für den Job bei uns in den Augen meines Vaters.

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Betriebsausflug in Wolfgangs Garten: Gisela und Sylvia sehen den anderen beim Essen zu. Ich spreche gerade mit Georg. Ganz hinten rechts neben Wolfgang sitzt Alfreds Freundin.
Zwischen Wolfgang und mir sitzt Sabine, unsere Auszubildende, damals sagte man noch Lehrmädchen. Und der einzige der noch isst ist Alfred (ganz vorne).


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Lagerhaltung auf  800 Quadratmetern Tiefgarage:
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 Verlagsweise geordnet und auf Karteikarten erfasst.
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Gruppenbild mit den Kollegen aus dem Laden und von der Lagerhaltung
(vorn mit Bart und ganz links)

Typischer Lieferkarton + Aufkleber vom LKG für BUCHEXPORT, Leipzig

Wir hatten einfach alles in der Garage. So war das "eurobuch" die grösste DDR-Buchhandlung der Welt.

1975 führte LKG, die DDR-Verlagsauslieferung die elektronische Datenverarbeitung ein, aber wir blieben bei den Karteikästen für die Lagerhaltung.
LKG brauchte trotzdem 6 Wochen, um ein bestelltes Buch an uns zu liefern. Dabei war der Transport von uns aus geregelt:


Kleinere Mengen wurden mit dem VW-Transporter und größere mit dem Mercedes Kastenwagen in Leipzig abgeholt.


Iris 1 und Iris 2 haben im Verkauf gearbeitet. + Ich winkte auf dem roten Besucher-Sofa im Büro Knesebeckstraße 3

Als Westberliner hatte ich nicht zum Militär gemusst (eine späte Folge des Potsdamer Abkommens und der Rolle der Besatzungsmächte) und das Thema war mir so richtig nur durch die antimilitaristische Rhetorik meiner Grossmutter und meiner Mutter bekannt: Kriegsdienstverweigerung. Den damals berühmtesten Kriegsdienstverweigerer lernte ich im europäischen buch bald kennen. Heinz Zirk war nach Westberlin vor der Bundeswehr geflüchtet. Man hatte ihn in Ketten 1969 mit dem Flugzeug wieder in die Bundesrepublik zurückgebracht aber irgendein Gericht sah die Oberhoheit der West-Alliierten Besatzungsmächte über die westberliner Polizei als Grundlage für das nachträgliche Verbot dieser Abschiebung nach Westdeutschland. Nun war Zirk also wieder da und seine Freunde hatten ihm hier einen Job hier verschafft. Heinz Zirk besuchte als Verlagsvertreter auf seiner ersten Reise auch das europäische buch für den Verlag Marxistische Blätter. Ich war sehr beindruckt von ihm als jemandem der wirklichen Mut gezeigt hatte. Später wurde Zirk einer der beachtetsten Verlagsvertreter, hatte natürlich dann ganz andere Verlage. Besonders erfolgreich war er mit Hanser...


Einer meiner häufigsten Besucher aus Ostberlin im eurobuch war Verlagsleiter Dr. Lothar Walter vom VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, den auch ich gern in der DDR-Hauptstadt besuchte. Da gingen wir oft zusammen essen im Club der Kulturschaffenden, im Café Moskau oder im Ermelerhaus. Von ihm wusste ich, dass DDR Verlagsleiter verpflichtet waren über jeden meiner Besuche einen Bericht an das Außenhandelsunternehmen BUCHEXPORT in Leipzig zu schicken. Für wen einige der insgesamt jeweils 6 Kohlepapier-Durchschriften waren, wurde dabei nicht verschwiegen. Minister Höpcke von der Hauptabteilung Verlage und Buchhandel des Kulturministeriums der DDR und auch die Staatssicherheit waren dabei. So war mir klar, dass ich durch wiederholtes Vorbringen von Missständen bei der Belieferung durch BUCHEXPORT und LKG wirklich alle mit Einfluss im DDR-Buchwesen aufscheuchen konnte.
Der VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften residierte in der Taubenstraße 10 in Berlin-Mitte, ein prunkvoller Bau (zumindest was das Portal betrifft), heute residiert da das Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Damals befand sich gleich hinter der Pförtnerloge das Zimmer mit dem Fernschreiber. Nur dort habe ich so ein Gerät mal selbst gesehen. Im ersten Stock war das Sekretarialt der Verlagsleitung. Links dann das Büro des Chefs und rechts das des ökonomischen Direktors. Letztere haben oft gewechselt: mir sind nur aus frühen Zeiten Kollege Mißlitz und aus späteren Zeiten Peter Dempewolf in Erinnerung. Zum Ritual für Besucher gehörte bei allen Verlagsleitungen in der DDR immer zuerst das Aufbrühen des Kaffees: "türkisch" nannte man das und das kochende Wasser wurde auf den gemahlenen Kaffee in die Kanne geschüttet, nach wenigen Minuten umgerühert und dann wurde wieder gewartet bis der "Grund" sich setzte. Das ganze hatte den Hintergrund, dem Gast etwas Teures zu kredenzen und so die Wertschätzung des Besuchers zu betonen: im Preissystem der DDR war Kaffee etwas, das man gerne auf Betriebskosten verzehrte, statt es selbst bezahlen zu müssen (Das Kilo kostete ca. 70,- Mark der DDR).
Meine Besuche bei Lothar Walter galten meist dem Tauschhandel: Von unseren Kunden gesuchte Bücher gegen mein ausgelesenes SPIEGEL-Heft vom letzten Montag. Aber auch Lizenzausgaben seiner Produktion in meinem Verlag
"deb - das europäische buch" wurden besprochen, so auch Mitte der 1970er Jahre der Titel "Kurt Gossweiler:
Großbanken, Industriemonopole, Staat" über Hitler als Majonette des Kapitals und neben anderen Buchtiteln auch das 2-bändige "Handbuch der Wirtschaftsgeschichte" Anfang der 1980er Jahre. Über die Jahre wurde aus dieser Beziehung eine Freundschaft. Gern kam er auch nach Feierabend noch zu mir in die Knesebeckstrasse um seine Verbindungen zu westdeutschen Verlagen zu pflegen. Häufig wartete in München Felicitas Feilhauer auf seinen Anruf bei Hanser...


Da hatten wir die Kopfbedeckungen getauscht: Lothar Walter und ich.



Auch andere Verlagsleiter und Verlagsvertreter aus der DDR kamen mich besuchen. Gern nahmen sie dann meine Einladung zum Essengehen an, denn das DDR-Reisekostenrecht zahlte ihnen im Unterschied zu einer Dienstreise nach Westdeutschland (wo Buchexport Leipzig die im Westen üblichen Pauschbeträge gewährte) für die Westberliner Dienstfahrt nur DM 5,-.


Neben den ostdeutschen erinnere ich mich auch an Besucher aus anderen Ländern: Regelmäßig tauchten bei mir auf:
Timos Papakostas, Verleger und Übersetzer aus Athen oder Theo Pinkus, Antiquar und Begründer einer Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Zürich, für die er immer und überall Freiexemplare einsammelte.
An eine abenteuerliche Episode mit Theo Pinkus erinnere ich mich besonders gerne: Auf einer Leipziger Buchmesse in der späten DDR hatte Theo Pinkus einige Kartons mit Büchern erobert und mit seinen jungen Freunden bzw. Mitarbeitern vereinbart, daß sie ihn auf ihrer Fahrt von Westberlin zurück in die Schweiz bei der Mitropa in Köckern abholen.
_Köckern ( alte DDR-Postkarte der Autobahnraststätte nahe bei Halle )

Vorher hatte er mit ihnen zusammen von Westberlin aus die DDR-Hauptstadt (Ostberlin) besucht, sicher um ihnen die Vorzüge des Sozialismus zu erläutern - obwohl er die DDR eigentlich recht kritisch sah - und natürlich auch um Bücher zu sammeln für seine "Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung".
Die jungen Schweizer wußten natürlich nicht, daß die DDR-Transitvorschriften das Aufnehmen von Personen strikt untersagten und dass der DDR-Geheimdienst auf den Transitaurobahnen wohnte. Mich bat Theo nun ihn mit seine Bücherkartons nach Köckern zu fahren um seine Kollegen zu treffen. Es war wohl ein fröhlicher Abend in der Mitropa Köckern bei dem mir Theo sicher wieder von seiner Liebe für die Genossenschaftsidee und von dem Ferienheim Salecina erzählte. Jedenfalls war das und noch mehr Thema als er die Nächte zuvor bei Gabi (meiner späteren Frau) in Halle übernachtete. Theo brachte von ihm aufgehobene Teebeutel als 2. Aufguss zum Einsatz (Theo trocknete leidenschaftlich gerne benutzte Teebeutel zur Weiterverwendung - Teil seiner Sparsamkeit) und ich trank DDR-Vollmilch aus der Flasche (die schmeckte dort nicht nach "länger haltbar", sondern schmeckte noch einfach nach Kuhmilch).
Beim Umladen der Kartons in einen schon ziemlich vollen schweizer VW-Bus sind wir sicher auch gesehen worden und der  VW-Bus musste bei der Ausreise aus der DDR auch etwas länger warten. Aber Willi, Theos Freund und Genosse aus seiner Berliner Zeit vor dem Krieg, ein ehemaliger Berliner Maurer war langjährig DDR-Premierminister und garantierte Theos Reisefreiheit. Erst als ich wusste, das Theo zuhause angekommen war konnte ich annehmen, dass ich auch nicht wegen Vergehens gegen das Transitabkommen drankäme und problemlos ausreisen würde.


Theo Pinkus (v.l.) auf meiner 2. Hochzeit im Juni ´89


Jutta war aus Wien mit ihrem Freund und späteren Mann Bert, einem frisch gebackenen Architekten in den 1970er Jahren nach West-Berlin gekommen und arbeitete zuerst bei Rothacker, einer alteingesessenen Fachbuchhandlung am Steinplatz gegenüber der Mensa der Technischen Universität mit damals noch sehr hirarchischen Strukturen. Irgendwann gab´s Zoff mit dem Chef, der auf einer Empore im Laden die Angestellten überwachte. Jutta verliess sofort den Laden und lief einfach in eine der nächsten Buchhandliungen, nämlich in unsere. "Braucht Ihr eine Buchhändlerin?" fragte Sie und ich: "wieso, bist Du eine?" Sie blieb und betreute unsere Belletristik über mehrere Jahre. Später wechselte Sie zu Marga Schoellers Bücherstube und ging danach zur Wiener Zentralbuchhandlung bzw. zum Internationalen Buch im Trattnerhof. Dort blieb sie bis die dortige Chefin die Jutta, die inzwischen Betriebsrätin war, 1990 ohne Grund rauswarf (die Buchhandlung wurde erst später geschlossen). Wir hatten inzwischen wieder vermehrt Kontakt, weil ich in den 1990er Jahren als Verlagsvertreter zu Verlagskonferenzen mit verschiedenen österreichischen Verlagen halbjährlich in Wien war. Ich war bemüht ihr zu helfen und habe sie mit meinen Verlegern bekanntgemacht. Sie wurde dann eine recht erfolgreiche Verlagsvertreterin in Österreich.


Jutta 2007 auf der Buchmesse Frankfurt/Main

Jutta starb sehr früh an Krebs (wie ihr Mann Bert ein Jahr vorher) und ich wurde von einer Verlagsauslieferung gefragt, welchen Nachruf-Text man nehmen könnte, nachdem Jutta mich in den letzten Wochen ihres Lebens täglich angerufen hatte...

Weil Jutta sich Ihre linke Position selbst erobert hatte in der Ablösung vom Elternhaus in Judenburg, wo man doch der Zeit vor 1945 in gewisser Weise noch sehr nachtrauerte. Natürlich war Jutta als erste Sortimenterin der KPÖ-eigenen Trattnerhof BuchhandelsgesmbH für mich auch Kommunistin gewesen, ohne das sie je in die Partei eingetreten wäre. Aber weil ich wusste, wie sehr sie sich als Freundin von Theo und Amalie Pinkus fühlte, in deren Ferien- und Bildungsheim Salecina sie mit ihrem Bert mehrfach den Urlaub zusammen mit Genossen und Antifaschisten aus ganz Europa verbracht hatte.  Jedenfalls schlug ich für den Nachruf vor: "...Kollegin, Freundin, Antifaschistin...". Das letztere Wort erschreckte anscheinen manchen Verleger, deren Verlage Jutta für linke Verlage gehalten hatte. Juttas letzte Mitarbeiterin Helga hatte wohl nie wirklich mit Jutta über deren Leben und Haltung gesprochen und hat gegenüber diesen Verlegern die "Antifaschistin" einfach dementiert. Jedenfalls wollten diese Verleger dann einen eigenen Nachruf für Jutta veröffentlichen. So bekam Jutta dann 2 ganzseitige Todesanzeigen im Börsenblatt...


Den Verlag das europäische buch (deb) hatte mein Vater schon in den 60er Jahren gegründet. Anfangs um die Titel, die in seinem Großantiquariat IBV als Restauflagen der DDR-Ausgabe besonders schnell ausverkauft worden waren, schnell nachzudrucken. So z.B.: "Schwarzafrika" von Jean Suret-Canale oder "Die ersten Philosophen", "Aischylos und Athen" und die "Frühgeschichte Griechenlands und der Ägäis" von George Thomson, alle zuvor erschienen beim Akademie-Verlag, wo der kaufmännische Direktor Hans Kruschwitz ihm und später auch mir zu günstigen Lizenzvereinbarungen für Nachdrucke verhalf. Vom VEB Bibliographischen Institut Leipzig bekam deb eine Lizenz für die gebundene Ausgabe des "Philosophischen Wörterbuchs" von Georg Klaus und Manfred Buhr (die Taschenbuch-Ausgabe kam bei rororo raus).

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Meine Verleger-Tätigkeit begann mit der Reihe: BÜCHER ÜBER BRECHT. Ich hatte mich für Bert Brechts Theaterarbeit meine ganze Jugend über interessiert. Als Kind nahmen mich meine Eltern oft mit ins Theater am Schiffbauer Damm zu Brechts Berliner Ensemble und ich sah viele seiner Inszenierungen. Bis zum Ende der DDR war ich bestimmt in über hundert Aufführungen des BE. Heute erinnere ich mich noch an die Inszenierungen "Mutter Courage" mit Helene Weigel, die ich mehrfach sah, "Tage der Commune", wo ich die Schändlichkeit des Fürsten Bismarck verstand, "Dreigroschenoper", meine erste Begegnung mit der Prostitution und Ernst Busch als "Galileo" meiner erste Begegnung mit dem Thema Inquisition.
Als Schüler habe ich dann auch Brecht Stücke in der Schaubühne am Halleschen Ufer (deren Dramaturg Sturm einer der besten Kunden der Buchhandlung das europäische buch wurde) und anderswo im Westen gesehen. Ein Lieblings-Stück blieb "Herr Puntila und sein Knecht Matti" das auf mich als sehr lehrreiche Kommödie wirkte. Den größten Eindruck machte mir aber "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" zu dem mir meine Eltern den historischen Hintergrund erklären konnten. In der Schule wurde ja die Nazizeit bei uns fast nie erwähnt. Zu meinen Lieblingsstücken gehörte "Der kaukasische Kreidekreis"
Auch sehr beeindruckend fand ich "der gute Mensch von Sezuan" und Mann ist Mann" die ich nicht ganz verstand und immer wieder ansehen würde. Ich begann Brechts Gedichte zu lesen und war begeistert vom Brecht-Gesang der Schauspieler und begann deren Schallplatten zu sammeln, allen voran Ernst Busch und Lotte Lenja, aber auch von Helene Weigel, Hilmar Thate, Gisela May, Ekkehard Schall, und Wolf Kaiser.
Die BÜCHER ÜBER BRECHT brachten mich zusammen mit interessanten Brecht-Kennern von denen diese Titel des Verlages das europäische buch geschrieben waren: Ernst Schumacher wohnte in den Hackeschen Höfen, die völlig unspektakulär damal keine Cafes oder Läden beherbergten, sondern vollstanden mit gewöhnlichen Mülltonnen. Schumacher war ein bayerischer Brechtkenner der nach dem Mauerbau in die DDR eingewandert war. Seine Doktorarbeit „Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts 1918-1933“ war aber schon 1953 in Leipzig bei Hans Mayer, Ernst Bloch und Ernst Engelberg entstanden und in der DDR veröffentlicht und die wollte ich verlegen. Nun war er der wichtigste Mann im Bereich Theaterwissenschaft der Humboldt- Universität und der einflussreichste Theaterkritiker der DDR-Hauptstadt mit regelmäßigen Veröffentlichungen in der Berliner Zeitung. In dieser Zeit verlor ich dann plötzlich den Kontakt zu ihm, noch bevor wir über die nächsten Projekte sprechen konnten (Später folgten dann noch Brecht-Aufsätze von Schumacher beim Verlag das europäische buch). Erst nach einiger Zeit bekam ich die neue Telefonnummer und Adresse heraus. Die Schumachers wohnten jetzt in einem DDR-Neubau mit Fahrstuhl nahe dem Alexanderplatz. Seine Frau Renate war immer sehr besorgt um seine Gesundheit "Ernschti braucht sei Ruh" sagte mir die sonst Hochdeutsch sprechende über ihren Mann, der seinen bayerischen Aktzent nie verloren hat. Den nächsten Mundartsprecher und Brecht-Kenner, den ich traf war Werner Mittenzwei: von Ihm brachte ich "Bertolt Brecht. Von der „Maßnahme“ zu „Leben des Galilei“" heraus, das zuvor bei Aufbau erschienen war. Und mit ihm folgte dann ein Pojekt das eine längere Zusammenarbeit mit sich brachte: Mittenzwei sollte den Realismus-Diskurs zur Brecht-Rezeption in historischen Artikeln der Zeitschrift Sinn und Form herausgeben. Daraus wurde dann der Buchtitel "Wer war Brecht - Wandlung und Entwicklung der Ansichten über Brecht - Sinn und Form". Mittenzwei Empfing mich meist in seinem Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Mitte. Aber mit der Zeit wurden unsere Kontakte auch privater. Oft gingen wir damals zusammen essen doch einmal habe ich bei Ingrid und Werner Mittenzwei von deren Balkon der Stasi gewunken und das kam so: Es war so ein Nachmittag mit viel Wind und wechselndem Licht, weil die Wolken schnell flogen. Ich hatte das Auto im Hof des Akademie Verlages geparkt, wo sonst nur Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften parkten. Natürlich konnten die Grenzer mein Westauto da sehen, denn der Hof war hinten von der Berliner Mauer begrenzt über die an dieser Stelle der Gropius-Bau zu sehen war. Hans Kruschwitz vom Verlag hatte mir aber erlaubt, da zu parken. Heute sind da Bundesrat und Berliner Abgeordnetenhaus untergebracht. Als ich wieder aufbrach und raus auf die Leipziger Straße und Richtung Osten fuhr merkte ich noch nichts. Ich war unterwegs zu Familie Mittenzwei mit denen ich in ihrer Wohnung nahe beim Tierpark verabredet war. Auf der Karl-Marx-Alle war es dann nicht mehr zu übersehen: mir folgten seit der Leipziger Straße vier Autos der gleichen Bauart und Ausstattung (ich glaube es waren Polski-Fiat 125), aber in verschiedenen Farben. Überholten mal, blieben zurück um sich dann überholen zu lassen und wiederholten dies bis zu meiner Ankunft in der Straße, wo ich parkte. Ich hab mich nicht umgesehen und bin gleich zu der Hausnummer geeilt, wo Mittenzweis wohnten und hoch. Da warteten die schon mit Tee und Keksen und als ich dann als erstes erzählte, die Stasi sei mit vier Wagen hinter mir her gewesen und wenns gleich klingelte, dann sollten sie nicht erschrecken, waren meine Gastgeber sehr ungläubig. Da sind wir dann zusammen auf den Balkon und ulkigerweise hatten die Kollegen von Horch und Guck tatsächlich dort unten Posten bezogen und standen bei ihren Fahrzeugen, die sie in der Nähe von meinem geparkt hatten. Werner Mittenzwei hatte eine sehr hohe Stimmlage und sein lautes, vorerzgebirgisches und durchdringendes "Huhuuu" und  "kommse doch hooch, hier gibs noch Tee" hat sie dann vertrieben. Sehr schnell fuhr die kleine Kolonne aus dem Wohngebiet wieder ab und wir haben herzlich gelacht. Werner Hecht hat mich eine Weile zappeln lassen, ehe er zustimmte, das wir sein Buch "Brechts Weg zum epischen Theater" nachdrucken durften. Als er 1976 die Leitung des Brecht-Zentrums der DDR übernahm waren wir dann bei der 2.Auflage. Barbara Brecht-Schall besuchte ich mehrfach wegen unseres Brecht-Kalenders und später nochmal wegen der Brecht-Postkartenserie, um von Ihr Rückenwind für die Copyright-Verhandlungen mit Helene Ritzerfeld vom Suhrkamp-Verlag zu bekommen, was wunderbarerweise auch klappte.

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In den folgenden Jahren hat mir die Arbeit für den Verlag viel Freude gemacht und ich habe interessante Menschen kennengelernt. ( später will ich noch mehr über diese Begegnungen schreiben) In Weißensee besuchte ich Wieland Herzfelde, den Malik Verleger, der mir unendlich viele Ratschläge gab und Jürgen Kuczynski mit dem ich unendlich viele Pläne schmiedete und eine VARGA-Ausgabe herausbrachte. Interessant und lehrreich waren meine Besuche bei Robert Katzenstein in Steglitz und die Zusammenarbeit mit Lutz Kroth und mit Franz Greno bei dem Buchprojekt  "Der Große Steinitz" war ein Spaß.
...---deb auf der Frankfurter Buchmesse (11x)

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Entscheidend für die Kontinuität des Verlages wurde der Graphiker Ralph Christians, der zuerst auf  Honorarbasis Umschläge für den Verlag gemacht. Später war er fest angestellt und gestaltete nicht nur das Äussere der Bücher. Er wurde im Laufe der Jahre zu meinem wichtigsten Kollegen in der Buchhandlung und im Verlag das europäische buch. Wir machten z. B. später zusammen mit der großartigen Fotografin Helga Paris den Bildband "Gesichter - Frauen in der DDR". Ehrliche und kritische schwarz-weiss Fotos des real existierenden DDR-Alltags: Die Altstadt von Halle /Saale in ihrem langsamen Verfall (Die Stadt war im Gegensatz zu anderen im Krieg nicht bombardiert worden und bekam kein Geld für Sanierungen. Der hallische Volksmund sprach: "Ruinen schaffen - ohne Waffen"), schöne Fotos von Hallensern beim Leben, von ihren Gesichtern und Gesichter von Textilarbeiterinnen im VEB Treffmodell, Berlin - Frauen eben. Und damit verbanden wir dann als Vorwort einen Artikel aus dem NEUEN DEUTSCHLAND über Frauen in der DDR von Helga Schubert, einer wandlungsfähigen Schriftstellerin und DDR-Gesprächspsychotherapeutin. Deshalb musste das Buch auch den Titel "Gesichter - Frauen in der DDR" haben (und Halle kam dabei nicht vor) denn die SED-Beziksleitung hatte gerade eine Ausstellung der Helga-Paris-Fotos mit kaputten Arbeiter- und Bürgerhäuser in Halle verhindert. Helga Paris und ihre Arbeiten kannte ich schon vorher (Meine erste Frau hatte in Halle studiert und war mit Helgas Ex-Mann Ronald befreundet). Aus dem ND-Artikel von Helga Schubert ein Buchthema zu entwickeln war die Idee meines Kollegen Wolfgang. Das Buch wurde ein Erfolg.

__Das letzte Gesamtverzeichnis unseres Verlages:_



Auf einem Zehlendorfer Fest hatte ich einen Stand gemietet und Bücher aus der DDR und der UdSSR aus westlichen und unserem eigenen Verlag präsentiert. Die uniformierten Herrschaften inspizierten diesen Stand und 15 Minuten später musste ich abräumen: Im amerikanischen Sektor von Westberlin waren linke Bücher und erst recht aus dem Osten nicht erwünscht wenn es nach dem Willen der Besatzer ging. Das hätte es mir ja auch alles denken können. Schließlich lud mich ja der Sowjetische Botschafter regelmäßig zum Empfang anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution ins Hotel Kempinski ein.


"20 Jahre eurobuch"ein Fest in der Gaststätte AX-BAX, Leibnitzstraße, Charlottenburg
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Bei den Vorbereitungen und mit Sabine
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Ganz links: Ralph Christians (dahinter Christiane "Hühnchen" Moslé) und rechts im weissen Anzug Eckhard "Spalte" Kendler und mit Schnauzer Kai Moslé.

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1984 bei meiner Festrede mit Gästen aus Ost- und Westberlin. Im hellen Sakko unser Westberliner Verlagsvertreter Heinz Zirk.


Hier mal mit Zigarillo statt Gauloises:
Heinz Zirk (rechts) im Gespräch mit Kollegen Thomas Birr im AX BAX

Heinz Zirk kam Ende der 60er Jahre nach West-Berlin und  wurde einer der prominetesten fahnenflüchtigen Wehrdienst-Verweigerer in der Deutschen Geschichte. Ein Haftbefehl aus Würzburg brachte ihm viel Ärger. Die Bestimmungen der alliierten Nachkriegsordnung und die Solidarität der Jugend bescheerten ihm letztlich jedoch die Freiheit eines West-Berliners. Seine erste Reise führte ihn für die Verlage Pahl-Rugenstein und Marxistische Blätter zu mir in die  Buchhandlung "das europäische buch". Er arbeitete dann für seine Verlagsauslieferung Zirk & Ellenrieder und vertrat u.a. Trikont, Wagenbach und mein "deb". Später als Freier Handelsvertreter Hanser, Kunstmann, Steidl und Unions. Bei der Abschiedsfeier aus dem Job vor 5 Jahren im Café Einstein in der Kurfürstenstraße hat er viel Lob von Hanser Chef Krüger bekommen. Ich denke gern an Heinz, schließlich hat er mir Verlage "vererbt", als ich 1994 Vertreter wurde. Sicher ist Heinz jetzt schon im Buchhändler-Himmel und doziert dort zu einem seiner Lieblingsthemen: Der Nicht-Remi-Fähigkeit des Partiestücks.

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Meine Lieblingskellnerin und ich mit Amadeus mit Rolli hinterm Tresen gegen Ende der Veranstaltung im AX BAX



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